Someone New von Laura Kneidl – Wutrede / Rezension – ich versuche mich mal spoilerfrei, werde scheitern

LYX wird auch einfach nicht mein Verlag. Großer Gott! Wobei ich das Hörbuch über Spotify gehört habe, aber egal.

Erschienen am 28. Januar 2019, es wäre besser geblieben wo es war. Sorry, ich rege mich nur auf.

Persönliches Vorwort, es ist mir wichtig, dass ihr das wisst! Es ist für mich und meine Beziehung zu meinem Kind völlig irrelevant ob es heterosexuell, homosexuell, bisexuell, transsexuell oder was auch immer ist. Hauptsache mein Kind ist glücklich. Mehr möchte ich nicht. Ein glückliches Kind!

Dieses Buch, die Story um Micah (Michaela) und Julian ist echt süß. Die ganzen Anspielungen auf Filme und Serien, man kommt sich vor, als hätte ein Nerd das Buch geschrieben und ich verstehe sie nicht oder nur die wenigsten und schon das nervt mich. Zudem fühlt man sich, als hätte man alle verfügbaren Stereotypen in einen Topf geworfen, dreimal gerührt und versucht ein sozialkritisches Buch zu schreiben. Man hätte eine Serie mit kleinen Episoden zu jedem Stereotyp machen können, dann wäre es gut gewesen, oder zumindest besser.

Ich liste hier mal die Typen, die wir haben:
– heterosexuelle Jugendliche und Erwachsene
– einen homosexuellen Jungen
– mit einer pflichtschuldigen Schwester (klein)
– erzkonservative und oder wohlhabende Elternhäuser
– eine Transgender Persönlichkeit
– einen großen schwarzen Mann (sorry das muss so)
– eine Teenie Mutter mit Gewichtsproblemen
– eine weiße Diabetikerin (sorry muss auch so)
– eine muslimische Pakistani mit Instagram Foodblog (Migrationshintergrund)

Vordergründig soll es wohl um die Liebesgeschichte zwischen Micah und Julian gehen. Die verschwindet aber hinter all den Nebendramen. Da ist Adrian, Micahs Bruder, der von den Eltern verstoßen wurde, weil er homosexuell ist. Das wird nicht toleriert. Ihm hat man auch direkt mal alle Mittel entzogen, der Junge ist alleine. Der Junge benötigt für alle ausgestoßenen homosexuellen Kinder und Erwachsenen eigentlich ein eigenes Buch.
Dann ist da die Teenie Mutter Lilly, ihr Sohn ist bereits 3 Jahre, der Vater des Kindes (Tanner) studiert an einer anderen Uni. Sie wird familiär zwar unterstützt, aber man hackt auf ihren körperlichen Maßen herum, sie ist wohl etwas proper. Dennoch stemmt sie irgendwie Kind, Uni und Freunde.
Wir hätten, den großen schwarzen Mann, Aurie. Er spielt gerne Rollenspiele und kann auch nur hier zu seiner Liebe stehen. Diese vergibt er nämlich gerne an die kleine weiße Diabetikerin, Cassie. Hier gibt es kurz angeschnitten ein Problem mit der Hautfarbe der beiden. Ich achte tatsächlich beim Hören nicht auf Äußerlichkeiten, weil mir das in der Regel egal ist. Macht einen Menschen nicht aus. Hier wäre es wohl wichtig. Scheint noch ein Problem zu sein! In der Welt da draußen.
Außerdem gibt es noch Aliza, sie ist Muslima und führt einen Blog auf Instagram, was Oma nicht so gerne sieht, aber so richtig häufig geht man eh nicht in die Moschee (aha). Natürlich isst auch irgendwer vegan. Das muss heute auch so sein.

Kommen wir zu den Hauptprotagonisten, die hier leider echt untergehen.
Micah, ist Tochter eines erzkonservativen Elternhauses. Ihr wurde regelrecht der Hintern hinterhergetragen. Aus mir unerfindlichen Gründen studiert sie Jura, für ihre Eltern, wo sie lieber Kunst oder Zeichnen studieren möchte. Da sie Graphic Novels oder Comics liebt. Durch den Disput mit ihren Eltern, wegen Adrians Homosexualität, ist sie ausgezogen. In eine eigene Wohnung, haben Mom und Dad ihr extra gekauft und eingerichtet. Die Möbel hat sie nicht aufstellen lassen, das wollte sie selbständig machen. Micah ist ein Widerspruch in sich. Es ist grauenhaft. Sie kann auch wirklich nichts alleine. Kochen – sie bestellt essen. Waschen – sie wäscht erst, als absolut nichts mehr da ist und lässt es sich dann erklären, von Julian. Zudem hat sie eine Vorliebe zur Tragik und eine Heidenangst die Dinge anzusprechen. Das macht es schon sehr schwierig. Statt mit Leuten zu reden, fantasiert sie herum oder befragt Google.

Julian ist 24 Jahre alt, nicht so wahnsinnig groß für einen Mann (das ist nur deshalb wichtig, weil der Mann im Buch immer, absolut immer, mindestens 2 m groß ist, während sie wirklich immer maximal 1,60 m groß ist). Er lebt in einer WG mit dem „schwarzen Mann“ und der Diabetikerin und einer Katze aus dem Müll (schnief). Julian ist eigentlich großartig. Er ist selbständig, hilfsbereit und eigentlich hoffnungslos überfordert. Zu Julian habe ich etliche Fragen.
Wie finanziert er alles?
Wie geht es ihm?
Wie konnte er all seine Pläne innerhalb von 3 Jahren umsetzen? Erscheint mir recht kurz!
und noch viele mehr….

Hätte man den Fokus auf Julian und Micah gelegt, und hier Julians Thematik von vorneherein besprochen, hätte man nach hinten viel besser Adrians Probleme ausbauen können. Die Konflikte mit den Elternhäusern ausbauen und das Buch besser machen können. Im übrigen (Danke Saskia) es gibt in diesem Buch keinen einzigen auftretenden Elternteil, der sein Kind so akzeptiert, wie es ist. Das ist mal eine große Schande!!!

Ab hier mit Spoiler:

Micah ist schrecklich, diese Persönlichkeit zu erschaffen, ich weiß gar nicht wie ich das sagen soll, ohne ausfallend zu werden. Micah lebt so sehr auf Kosten ihrer Eltern, dass mir schlecht wird. Sie bekommt den Streit zwischen diesen und ihrem Bruder hautnah mit und zieht daher auch aus. Bricht jedoch nicht komplett mit ihnen, weil sie die Familie auf eine krude Art zusammenhalten will. Dieser Zusammenhalt bedeutet für sie auch das komplette Wohlfühlprogramm inklusive Geld und Flugmeilen der Eltern weiterhin zu nutzen. Dafür studiert sie das verhasste Jura ums später die familiäre Kanzlei übernehmen zu können. Super. Nix Nebenjob und eigenes Einkommen? Ha. Jura Studium und eigene Wohnung sind ja schließlich schon Opfer genug. Ich glaube es hakt. Micah wird gerne übergriffig im emotionalen Bereich. Sie hat ständig das Gefühl zu wissen was für andere gut ist und das will sie auch mit einer Energie umsetzen, dass ich Kopfweh bekomme. Es geht sie verdammt nochmal nichts an.
Zudem überwirft sich Micah später noch mit ihrem Elternhaus total, weil die ihren Sohn einfach ausradiert haben. Hier wird sie unglaublich respektlos und unmöglich. Den Ausbruch an sich verstehe ich noch, weil die Eltern einfach unfassbar grausam sind. Jedoch kommt der Ausbruch zu spät und passt nicht zu der Micah, die sich von ihren Eltern aushalten lässt. Dann hab auch die Eier und sorge für dich selbst Kind!
Sie sucht also immer wieder ihren Bruder während sie Julian kennenlernt und seine Freunde. Julian hat immer viel zu tun. Zwei Jobs und Architekturstudium, plus private Termine über die er mit Micah nicht reden will. Außerdem hat Julian eine seltsame Narbe am Unterarm, die natürlich von einem Unfall kommen muss. Darüber verstrickt sich Micah in die wildesten Theorien. Auf Julians Nachttisch steht auch ein Foto eines Mädchens namens Sophie. Daraus schließt Micah, dass Sophie Julians Schwester ist und diese muss bei einem Autounfall ums Leben gekommen sein, weshalb Julian die Narben hat. Großer Gott, frag ihn einfach. So sie versucht es, aber er spricht nicht über die Narbe.

Können wir uns mal bitte über Narben unterhalten? Narben sind ja für mich kein Makel, sondern der Beweis etwas überlebt zu haben. Eine Verletzung, sei es psychisch oder physisch. Meine Kinder und ich, wir tragen all unsere Narben mit Stolz, wir erzählen ihre Geschichte! Das vermisse ich hier sehr! Warum kann er nicht zugeben, dass die Narbe am Arm von einer OP stammt. Mehr muss er erst einmal nicht erzählen.
Dann sieht sie ihn später noch einmal nackt und er hat eine scheinbar durchgängige Narbe unter der Brust und seine Nippel stehen etwas schief. Außerdem hat er noch Narben am Bauch und Oberschenkel. Diese sind aber alle 2 oder sogar 3 Jahre alt und noch immer rot und wulstig? Klar kann sein, aber das wäre ein echt miserabler Job eines Arztes gewesen. Der Junge ist doch jung, da ist die Zellteilung auch noch tiptop. Die Narben am Bauch habe ich ähnlich seit 3 Jahren auch, meine sind weiß und sehr blass, sieht man quasi nicht mehr. Windpockennarben sind fast deutlicher.
Mir ist zudem absolut schleierhaft, wie ein junger Mensch das ganze in den USA finanziert und umsetzt. Hier in Deutschland  haben wir ein Netz an Versicherungen und Sozialleistungen und das ganze ist sicher auch hier aufwendig und höllisch kompliziert. Also diese Ich-Findung. Der Prozess zu wissen, ich bin jemand anderes, als nach was ich aussehe. Das dauert doch. Wie kann man das so übers Knie brechen?
However. Nehmen wir das als gegeben und Julian hat es geschafft, aus eigenem Antrieb so zu werden, wie er sich sieht. Ein heterosexueller Mann. Glückwunsch!

Leider hat auch Julian kein Elternhaus, das ihm den Rücken deckt. Nein. Man hält ihn für krank. Die ganze Geschichte mit „Wie Sophia war gar nicht deine Schwester, du warst Sophia!“ deckt sich auch erst am Ende des Buches auf. Auf der Beerdigung seines Vaters. Zu der er nicht sollte, weil seine Mutter ihn hasst. Micah hat sich aber dafür eingesetzt, dass er hingeht. Grundsätzlich soll der Junge sich auch von seinem Vater verabschieden können. Das hätte er aber auch nach der offiziellen Trauerfeier tun können. Dann hätte die Frau, die ihn geboren hat, ihm auch nicht vor die Füße gespuckt. Demütigung pur.
Zu allem Überfluss haben die zwei, also Julian und Micah, danach Sex. Leute… kommt ihr klar? Die reden monatelang nicht darüber, er zeigt sich nie nackt. Dann kommt dieses demütigende und traurige Ereignis und sie haben Sex? Inklusive aller seltsamen Unterhaltungen, wie „der wird ja gar nicht steif!“ Ach Micah, der hat auch keine Schwellkörper, die durch Blut gefüllt werden…. Bis hin zu „der ist ja noch immer steif!“ äh ja natürlich, muss man manuell eben auch wieder ändern, oder welche Möglichkeiten die Medizin bis hierhin auch immer noch geschaffen hat.
Dass sie ihn nicht fragt, ob sie schwanger werden könnte, grenzt bei ihrer Intelligenz echt an ein Wunder.

Ich meine, ich freue mich für Julian, dass er ein Mädchen gefunden hat, dass ihn will und ihn nimmt wie er ist und all das. Aber es hätte mir sehr gefallen, wenn genau dieser Punkt steter Bestandteil der Geschichte von Anfang an gewesen wäre und nicht erst am Ende.
Man hätte hier schön aufklären können, wie weit die Medizin ist, wie toll das alles geht, dass der Bart auf Grund von Hormonen sprießt, ob und welche Nebenwirkungen es geben kann, etc. Das hätte man einbauen können und es wäre noch immer ein sozialkritischer Roman gewesen im NA/YA Bereich. Aber man hat es nicht. Man hat ihn überladen und das Thema an sich, nämlich, dass Andersartigkeit jedweder Form verpönt ist, geht unter. Schrecklich.

Wer ist eigentlich normal? Ich nicht. Ja okay, ich bin hetero und sogar verheiratet und Mutter, aber bin ich deshalb normal und im Standard? NEIN. Möchte ich auch gar nicht sein. Wer oder was ist eigentlich der Standard und wer definiert ihn?

Zur Bewertung des Buches. Ich finde es verachtet die Eltern dieser Generation und viele Kinder. Ich wünsche mir, dass ich als Mutter die erste bin, die weiß, wie es ihrem Kind geht und was es beschäftigt, damit ich mein Kind begleiten kann. Ich möchte es nicht als letzte erfahren. Wenn dem so wäre, wäre ich geschockt über mich selbst und nicht über mein Kind. Das Buch ist ab 14 Jahre. Nach diesem Buch, hätte ich noch mehr Angst vor einem Outing, als zuvor. Ich möchte liebende Eltern, wenigstens einen Teil.

Ich weiß einfach  nicht ob ich 2 Sterne geben soll, für die Grundidee oder nur einen, weil es einfach so unfassbar schlecht ausgearbeitet ist. Und dann stehe ich da mit leeren Händen und weiß nur, dass ich meine Kinder bedingungslos liebe.

Habt euch lieb, habt einen feinen Tag ❤

Eva

Klappentext:
Als Micah auf ihren neuen Nachbarn trifft, kann sie es nicht glauben: Es ist ausgerechnet Julian, der wenige Wochen zuvor ihretwegen seinen Job verloren hat. Micah fühlt sich schrecklich, vor allem, weil Julian kühl und abweisend zu ihr ist und ihr nicht mal die Gelegenheit gibt, sich zu entschuldigen. Doch gleichzeitig fasziniert Micah seine undurchdringliche Art, und sie will ihn unbedingt näher kennenlernen. Dabei findet sie heraus, dass Julian nicht nur sie, sondern alle Menschen auf Abstand hält. Denn er hat ein Geheimnis, das die Art, wie sie ihn sieht, für immer verändern könnte …

Medium und Preis:
eBook: EUR 9,99
Broschiert: EUR 12,90 (544 Seiten)
Audio CD: EUR 11,61 ( Caroline Sophie Göbel spricht – 14 h 47 min)
Verlag: LYX, Lübbe Audio